Weil dieses Thema am Montag bei unserem Coffee Talk mit Pavo Ivkovic und mir diskutiert wurde, möchte ich es nochmal hier ansprechen. Denn die kurze Zeit, die wir morgens um 9.30 Uhr zur Verfügung haben, reicht selten, um Themen tiefergehend zu betrachten. Auch weil einige nicht immer LIVE jeden Morgen um 9.30 Uhr auf Instagram dabei sein können aufgrund ihrer Arbeit oder anderer Verpflichtungen.

Natürlich kann sich jeder den Talk innerhalb von 24 Stunden auf Instagram nochmal anschauen und bald wird jede Episode auch auf Youtube verfügbar sein, aber ich wollte das Thema nochmal im Kern ansprechen und kompakt in geschriebener Form zur Verfügung stellen.

Was ist eigentlich unperfekte Arbeit?

Wenn wir von unperfekter Arbeit sprechen, handelt es sich meistens um die eigene Sicht von einer Arbeit, von einem Projekt. Es basiert also auf den eigenen Erfahrungswerten. Und diese können natürlich variieren von Künstlern/Designern mit unterschiedlichen Qualifikationen und Erfahrungswerten. Also wenn du denkst, 90 % erreicht zu haben, sieht der Betrachter deine Arbeit vielleicht als 120 % an.

Unperfekt ist manchmal perfekt

Inhaltlich kann es verschiedene Sichtweisen geben. Nehmen wir an, deine Arbeit ist aus deiner Sicht zu 90 % vollendet, aber du siehst immer noch Kleinigkeiten, die du verändern könntest, die aber dem Betrachter nicht auffallen. Es sind also minimale Veränderungen, Korrekturen, die den Gesamteindruck nicht beeinflussen, sondern eher dein eigenes Ego beruhigen und dir die Gewissheit geben, dass du Perfektionist bist und somit besonders gut in deinem Bereich, weil du nach dem Besten strebst. Dieser Perfektionismus ist nicht zielführend und kostet sehr viel Zeit und Energie, die nicht im Verhältnis steht zu den bereits erreichten 90 %.

Mut haben, unperfekt zu sein

Eine andere Art von unperfekter Arbeit könnte sein, wenn du den Mut hast, Rohfassungen, erste Skizzen, Arbeitsschritte oder schnelle Visualisierungen von deinen Ideen zu zeigen. Hier spielt die frische und spontane Herangehensweise eine Rolle, mit der man Projekte/Skizzen beginnt. Der spontane Strich hat oft einen Flow, der besonders ist und der schwer durch akribischen Digitalisierungsprozess entstehen kann, sogar manchmal dadurch verloren geht. Oft sind diese Arbeiten viel beliebter, sie sind echter, haben den natürlicheren Fluss in den Formen.

Denn du denkst bei den ersten Strichen deines Projektes weniger nach, möchtest einfach erstmal aus dem Impuls heraus etwas machen. In diesem Moment können schöne Gestaltungen entstehen. Nicht selten kommt es bei meinen Lettering Schriftzügen vor, dass ich in der ersten oder zweiten Skizze Formen und Linien drin habe, die eine gewisse Leichtigkeit haben, welche ich nach langem Skizzieren nicht wieder hinbekomme.

Erkennen des natürlichen Strichs

Wenn du in der Lage bist, die natürlichen Gestiken oder Formen deiner ersten Skizzen in den finalen Digitalisierungsprozess zu übertragen, dann hast du die gewisse Erfahrung, genau diese Qualitäten im Detail zu erkennen. Das ist nicht immer leicht, kann aber dazu führen, dass das finale Ergebnis doch noch besser wird.

Verstecke dich nicht, zeige deine Arbeit

Gerade wenn du beginnst mit dem Lettering oder mit einer anderen kreativen Arbeit wie z.B. Illustrationen oder Sketchnotes, dann sind deine ersten Arbeiten nicht nur für dich unperfekt, sondern auch für viele Betrachter, denn du hast ja noch nicht so viele Erfahrungen. Am liebsten würdest du in deinem stillen Kämmerlein üben und wenn du los legst, sofort schöne Arbeiten zeigen. Aber leider geht das nicht so einfach.

Solltest du aber von der ersten Minute an den Mut haben, deine unperfekten Anfängerwerke öffentlich zeigen zu wollen und zu können, dann liegt darin eine besondere Kraft. Wer sich der Meinung anderer früh aussetzt, kann diese besser einschätzen und lernt schneller, sich dadurch nicht mehr herunterziehen zu lassen und sie eher für sich zu nutzen. Es kann nämlich ernüchternd sein, wenn man seine Anfängerarbeiten zeigt und niemand reagiert, obwohl du viele Stunden für dieses Werk geschwitzt hast und dein Herzblut darin verloren ging. Aber beruhige dich, das ist ganz normal.

Du verlierst nichts, wenn du deine Arbeiten früh zeigst

Als Künstler lernst du schneller, wenn du dich mit deinen Arbeiten zeigst. Eher bekommst du Feedback, welches dir schnell helfen kann. Du lernst andere Künstler kennen, die auf deiner Stufe stehen oder schon etwas weiter sind. Du tauschst dich mit denen aus und deine Entwicklung wird beschleunigt. Auch wenn du in deinem Kopf die perfekte Arbeit in der Vorstellung hast, musst du noch den Weg gehen, der dich dort hinbringt. Also die Phase der offensichtlich unperfekten Projekte ist wertvoll und die muss jeder gehen. Nicht selten hören in dieser Phase viele Kreative auf, weil es nicht schnell genügend positive Resonanz gibt.

Fazit

Also unperfekte Arbeit hat Power. Gerade in unserer Zeit von Social Media, wo jeder darauf bedacht ist, sich möglichst von seiner besten Seite zu zeigen, hat eine authentische Posting-Philosophie nicht nur den Charme, Nähe und Vertrauen beim Betrachter zu erzeugen, sondern auch einen positiven und meist schnelleren Effekt für deine eigene Entwicklung.

Text und Bild: Robert Bree

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